„Du hast ein Machtmotiv!“, sagte der Trainer zu mir in einem Führungskräfteseminar.
Ich protestierte: „Ich habe doch kein Machtmotiv. Ich bin Führungskraft, weil ich etwas gestalten will. Ich will meine Mitarbeiter befähigen, mit ihnen gemeinsam großartige Projekte realisieren und unsere Kunden glücklich machen.“
„Ja, genau“, antwortete der Trainer daraufhin lächelnd.
Er erklärte dann, wie er zu dieser Einschätzung kommt und es war für mich plausibel. Spannend ist aber auch die Frage, warum ich kein Machtmotiv haben wollte? Scheinbar ist das Wort Macht negativ besetzt – warum?
Lasst uns das näher beleuchten:
Das Wort „Macht“ kommt offensichtlich vom Verb „machen“. D.h. etwas tun können, zu etwas in der Lage sein. Insofern ist jeder irgendwie, irgendwo mächtig.
Je nach Kontext und Position kann man mehr oder weniger gestalten/verändern/machen. D.h. die Größe der Macht ist oft an Positionen gekoppelt, z.B. hat ein Geschäftsführer eines Unternehmens mehr (formale) Macht als ein Angestellter.
Sie kann verliehen oder auch vererbt werden. Damit wurde sie nicht verdient und bleibt nur solange bestehen, wie das System aufrecht gehalten wird bzw. weiterhin funktioniert.
Genaugenommen steckt die Macht aber in der Beziehung. Es muss einen geben, der ermächtigt und einen, der die Macht ausübt. Ein wahrhaft Mächtiger strahlt natürliche Autorität aus. Durch seine innere Haltung erhalten seine Handlungen eine überzeugende Wirkung. Dadurch entsteht in den Köpfen, die sich beherrschen lassen, das Gefühl, dass der andere Macht hat.
Es handelt sich dabei um ein Abhängigkeitsverhältnis. Das muss nichts mit Gewalt zu tun haben, im Gegenteil das kann produktiv und wertvoll sein. An den Machthabenden setzt das wiederum eine hohe Verantwortung:
- Er muss unter Unsicherheit Entscheidungen treffen können.
- Er muss mit der heutigen Komplexität klar kommen. Dadurch wird Punkt 1 deutlich erschwert.
- Er muss Verantwortung abgeben können. Seine Untergebenen damit stärken, was wiederum seine Macht erhöht, und die damit verbundenen Unsicherheit aushalten können.
- Er muss Netzwerke schaffen, die selbstständig handlungsfähig sind. Damit versucht er, sich zunehmend entbehrlich zu machen. Das schafft dann wieder Freiräume bei ihm, sich anderen Themen zu widmen.
Die Ansprüche an einen Machthabenden sind demnach sehr hoch. Das führt dazu, dass nicht jeder Macht (=Verantwortung) haben möchte. Wichtig zu verstehen ist, dass es sich immer um ein Machtpotential handelt. Dieses Potential muss genutzt werden, damit eine Wirksamkeit entsteht. Hat der Machtpotential-Träger keinen Machtanspruch, wird er die Macht nicht ausüben und damit auch keine Veränderung bewirken.
Ist dieses Machtpotential an eine Rolle (z.B. Abteilungsleiter) gekoppelt und die Person erfüllt die Erwartungen nicht, kann das für die Untergebenen sehr frustrierend sein. Auch für den Machtpotential-Träger wird die Führungsaufgabe zunehmend schwerer und fällt ihm zur Last.
Noch schlimmer ist der Machtmissbrauch: Untergebene klein halten, Informationen vorenthalten, aufgrund der Position Vorteile genießen und damit prahlen bis hin zu jemandem seinen Willen aufzwingen und Unterdrückung. Das sind Gründe warum Menschen nicht mit „Macht“ in Verbindung gebracht werden wollen. Es entspricht nicht ihrem Werteverständnis.
Für viele ist wichtig, dass der Stärkere, Klügere, Wortgewandtere, Reichere, … die anderen teilhaben lässt oder sie zumindest „mitnimmt“.
Insgesamt wandelt sich das Thema Macht zunehmend von „Position“ hin zu „Einfluss“. D.h. es ändert sich von „Macht über andere“ hin zu „Einfluss auf andere“. Damit hat potentiell jeder Macht, der seine Ideen in die Tat umsetzt und genügend Menschen von dieser Idee überzeugt. Die vielen Influencer auf Youtube und Instagram zeigen ziemlich deutlich, wie das Prinzip funktioniert.
Doch was bedeutet das in Bezug auf mein Beispiel vom Beginn des Artikels?
- Ja, es stimmt, ich habe ein Machtmotiv. Ich möchte gestalten. Ich möchte ein Umfeld schaffen, in dem meine Mitarbeiter wachsen können und wir Wert schöpfend für unsere Kunden arbeiten können. Ich möchte etwas schaffen.
Das war der Grund, warum ich Führungskraft geworden bin.
Die Position war mir dabei egal. Allerdings braucht es die formale Macht, ohne die kann ein Unternehmen nicht effizient funktionieren. Ohne formale Macht müsste alles z.B. im Mehrheitsprinzip entschieden werden. Das ist langwierig, es kommt oft nicht die beste Entscheidung dabei heraus und wird ganz schwierig bei unliebsamen Entscheidungen (z.B. Kündigungen). - Das Wort „Macht“ ist aus nachvollziehbaren Gründen negativ besetzt. Darum wollte ich damit auch nicht in Zusammenhang gebracht werden. Da es meinem Werteverständnis widerspricht, andere auszunutzen oder zu benachteiligen.
Nach der Auseinandersetzung mit dem Thema, finde ich es schade, dass Macht so negativ gesehen wird. Im Gegenteil es ist wichtig, dass Menschen gestalten wollen, dass sie Macht ausüben wollen.
Ich glaube, mit vielen weiteren positiven Beispielen und dem oben skizzierten Werteverständnis kann sich die Sicht auf Macht ändern.
Macht auszuüben, etwas zu bewirken, stärkt das Selbstbewusstsein. Es entsteht ein positives Gefühl.
Das erlebe ich täglich beim Umgang mit meinen Pferden. Sie befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu mir und ich trage die Verantwortung für ihr Wohlergehen. Ich muss die Führung übernehmen und ihnen Sicherheit geben.
Im pferdegestützten Coaching können Menschen das Ausüben von Macht im Umgang mit dem Pferd üben. Nur durch Körpersprache ohne Worte kommunizieren sie mit dem Pferd und können dessen Verhalten beeinflussen.
Der Mensch gewinnt an Selbstbewusstsein, da er ein so großes Tier ohne Gewalt steuern kann.
Dem Pferd ist dabei die Position bzw. Stelle, die der Mensch inne hat, egal. Es reagiert allein auf die Präsenz und die Körpersprache des Menschen.
Der Mensch lernt, wie wichtig die innere Haltung, Fokus und Klarheit ist, um Einfluss auf andere zu nehmen. Er beginnt eine natürliche Autorität zu entwickeln, d.h. er kann durch seine innere Haltung und die daraus folgende (nicht bewusst steuerbare) Mikro-Körpersprache seine Wirkung auf andere Menschen verbessern, so dass er in die Führung gehen und somit Macht ausüben kann.
Im Umgang mit anderen Menschen wird er die Sprache ergänzend hinzunehmen, diese wird basierend auf seiner Ausstrahlung eine höhere Wirksamkeit haben.
Hat der Mensch allerdings keinen Führungsanspruch, d.h. er will sein Machtpotential nicht nutzen, dann wird er bei dem Pferd keine Verhaltensänderung bewirken.
In einem meiner Kurse hatte ich einen Mitarbeiter einer Personalabteilung. Er sollte das Pferd durch einen Parcours führen. Das tat er ziemlich lustlos mit wenig Fokus. Das Pferd spiegelte das, schnüffelte hier und da mit der Nase im Sand, schaute in der Gegend rum. Darauf angesprochen, sagte der Mitarbeiter, er hätte keine Lust, das Pferd oder auch Menschen zu führen. Er will nicht die Richtung vorgeben müssen, darum sei er auch keine Führungskraft. Er hatte für sich schon klar erkannt, wo seine Stärken liegen und was er nicht will.
Durch das Verhalten des Pferdes wurde es offensichtlich bestätigt.